Donnerstag, 27. November 2014

Auswärtiges Amt "Globalisierung in der Rezession" - Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim 'Führungstreffen Wirtschaft' der Süddeutschen Zeitung am 27. November 2014 in Berlin


"Globalisierung in der Rezession" - Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim 'Führungstreffen Wirtschaft' der Süddeutschen Zeitung am 27. November 2014 in Berlin

27.11.2014

Herr Kister, meine Damen und Herren!

Ich freue mich, erneut zu Gast zu sein beim Führungstreffen Wirtschaft der SZ!

Ich hoffe, Sie haben mich nicht eingeladen, weil alle anderen keine Zeit hatten – sondern ich glaube, Sie haben nicht ganz zufällig den Außenminister zur Eröffnung gebeten. Ich finde es bezeichnend, dass –am Ende dieses turbulenten Jahres 2014– zum ersten Mal eine dezidiert außenpolitische Rede diesen Wirtschaftskongress eröffnen soll.

Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Beim letzten SZ-Führungstreffen vor 12 Monaten steckten wir mitten in Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene: Was wurde damals nicht alles spekuliert: über Posten und Pöstchen; über Zuschnitte von Ministerien und Lieblingsprojekte von Parteien… Aber Außenpolitik hat kaum einen interessiert! Manch einer hat sogar gesagt: 'Warum will überhaupt noch jemand Außenminister werden? Das Amt hat abgewirtschaftet.'

Und heute: Überall Außenpolitik! Tatsächlich kann ich mich in meiner gesamten politischen Biographie an keine Zeit erinnern, in der internationale Krisen in so großer Zahl, an so vielen Orten der Welt, von so unterschiedlicher Natur, und das alles gleichzeitig auf uns eingestürmt sind wie heute. Es scheint, als sei die Welt aus den Fugen geraten.

Ich nutze die Metapher der "aus den Fugen geratenen Welt" nicht von ungefähr. Für mich bringt sie zwei größere Trends auf den Punkt, die hinter den einzelnen Krisen liegen.

Zum einen: den Verlust von Ordnung. Als wir in Berlin vor gut zwei Wochen dem Mauerfall vor 25 Jahren gedachten – mit dieser unvergesslichen Szene, als tausende weiße Luftballons entlang der ehemaligen Mauer in den Abendhimmel aufstiegen – da ging es ja nicht nur um einen Schicksalsmoment von uns Deutschen. Sondern der Mauerfall war eine Zeitenwende für die Welt als Ganze! Am 9. November 1989 verlor die Welt ihre alte bipolare Ordnung – die jahrzehntelange Teilung in Ost und West, mit ihren zynischen Gewissheiten.

Diese alte Ordnung ist überwunden  –zum Glück! – doch eine neue hat die Welt bis heute nicht gefunden. Manche dachten nach dem Mauerfall, dies sei der unipolare Moment des Westens – das „Ende der Geschichte“, der unaufhaltsame Siegeszug von Freiheit und Demokratie rund um den Erdball. Andere sahen eine multipolare Ordnung heraufziehen, mit neuen Playern aus Asien und Lateinamerika, alle miteinander friedlich versammelt am runden Tisch der Weltbühne. Ich aber fürchte: Die Welt von heute ist weder unipolar, noch multipolar, sondern sie ist non-polar. Sie ist eine Welt auf der Suche. Und diese Suche verläuft nicht wie ein friedlicher Seminardiskurs. Sondern das Ringen um Einfluss und Dominanz, überlagert durch ethnische und religiöse Konflikte, entlädt sich in diesen Monaten in einer bedrohlichen Vielzahl von Krisen.

Wenn ich die schlechte Nachricht vorwegnehmen soll:
So schnell wird sich das nicht ändern! Im Gegenteil müssen wir uns dran gewöhnen, dass Krise der neue Normalfall wird. Und ich fürchte: das geschieht nicht trotz Globalisierung, sondern wegen der Globalisierung! Denn in einer vernetzten Welt machen Gefahren und Konflikte eben genauso wenig Halt an nationalen Grenzen wie Import, Export und Kapitalströme.

Der zweite Trend, den ich meine, ist dieser: Je mehr die Welt sprichwörtlich "aus den Fugen gerät", desto deutlicher treten ihre Risse und Gräben hervor. Will sagen: Je mehr internationale Krisen das öffentliche Bewusstsein prägen, desto mehr starren wir auf die Gegensätze zwischen Staaten, Völkern und Kulturen!

In fast allen aktuellen Krisen lässt sich das beobachten:

Der Ukraine-Konflikt schürt längst vergessene Gegensätze und Reflexe aus Zeiten des Ost-West-Konflikts.

Der menschenverachtende ISIS-Terror wird zum extremen Ausdruck religiöser Grundkonflikte.

In Folge des Gaza-Konflikts zeigt sich aufs Neue die hässliche Fratze des Antisemitismus – leider auch in Europa und Deutschland.
Ebola und Flüchtlingswellen schüren neue Ängste vor dem „globalen Süden“, vor seinen Gefahren, die drohen, zu uns in den reichen Norden herauf zu schwappen.

Und selbst im Umgang mit unseren engsten Partnern, insbesondere den USA, ist die öffentliche Debatte dominiert von Unterschieden, nicht Gemeinsamkeiten.
Sigmar Gabriel hat das neulich anekdotisch auf den Punkt gebracht, als er sagte: Eigentlich verbindet Deutsche und Amerikaner doch unser Wappentier, der stolze Adler. Aber der einzige Vogel, der derzeit transatlantisch eine Rolle spielt, ist das Chlorhühnchen – ein geflügeltes Symbol unserer vermeintlichen Verschiedenheit.

Diese 'Hochkonjunktur der Gegensätze' geht leider viel weiter als die politischen Differenzen, die den Kern der Krisen bilden: Sie lässt die Gegensätze in den Köpfen wachsen!

Leider spüre ich die Hochkonjunktur der Gegensätze auch, wenn ich unsere öffentliche Debatte und Berichterstattung über die Außenpolitik verfolge.
Nehmen Sie die Beispiele Arabischer Frühling, Libyen, Syrien: drei Konflikte ganz unterschiedlicher Provenienz, die wir journalistisch und politisch viel sehr über den einen Leisten europäischer Wahrnehmung gezogen haben: das Schema junger freiheitlich-demokratischer Aufbruch gegen alte Autokratie. Entgegen der Komplexität der Konfliktursachen, die uns bewusst sein sollte– beobachte ich eine Sprache -in Medien wie in politischen Statements-, die sich in ihrer Farbgebung zu oft aufs Schwarz-Weiße beschränkt. Obwohl wir doch wissen, dass in der Analyse von Konflikten die unterschiedlichen Schattierungen des Grau dominieren.
Dass 'Gut' und 'Böse' in den meisten Fällen nicht taugliche, weil: nicht vollständige Kategorien sind, und der Grundsatz 'Der Feind unseres Feindes ist unser Freund' uns ein ums andere Mal in die Irre geleitet hat.

In den Symptomen, die ich beschrieben habe, im ‚aus den Fugen Geraten‘ dieser Welt entfalten sich mächtige Gegenkräfte zur Globalisierung – und deshalb ist die außenpolitische Entwicklung, auch über die einzelnen Krisenherde hinaus, so relevant für eine Wirtschaftskonferenz wie diese.

Vielleicht spüren wir heute deutlicher als zuvor eine Folge der Globalisierung, die wir lange unterschätzt haben: dass die Welt da draußen, die uns immer näher rückt, vielen Menschen doch fremder und gefährlicher erscheint, als wir dachten.

‚Die Welt wird zum Dorf‘ – Das war lange Zeit eine Verheißung, doch in vielen deutschen Wohnzimmern klingt es heute eher nach Bedrohung.

So weit ich mich an diese und andere Wirtschaftskonferenzen in den letzten Jahren zurückerinnern kann, so lange war der unaufhaltsame Siegeszug der Globalisierung ausgemachte Sache – fast eine Selbstverständlichkeit. Normalerweise kommen Politiker und Manager auf Konferenzen wie diesen zusammen und singen das Loblied der Globalisierung, und zwar auf allen Ebenen:

als Garant für Deutschlands exportbasierten Wohlstand, als Motor der europäischen Integration, als Treiber der globalen Konvergenz.
Nichts von dem ist falsch – nach wie vor. Doch im Jahr 2014 steht diese Debatte, wenn nicht am Wendepunkt, so doch unter Rechtfertigungsdruck: Die Globalisierung steckt in der Rezession!

Im Übrigen nicht erst durch die politischen Konfliktlagen dieses Jahres, sondern in der Wirtschaft können wir es spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 bis 2009 beobachten. Die Reaktion auf die Exzesse der globalen Kapitalmärkte war, zumindest teilweise, ein Rückzug in stärkere nationale und regionale Regeln und Grenzen – und zwar auch, weil internationale Formate wie die G20 angesichts diverser, auch regionaler Interessengegensätze von Finanzplätzen und Realwirtschaft nicht schnell genug geliefert haben, was gebraucht wurde.

Auch in einem weiteren Bereich beobachten wir die Rezession der Globalisierung, und zwar ausgerechnet beim globalen Gut schlechthin: dem Internet. Eine ganze Reihe großer Staaten – China, Russland und einige andere – wendet erhebliche Ressourcen auf, um das Internet nach eigenen nationalen Vorstellungen zu regeln und zu kontrollieren.

Und spätestens seit den NSA-Enthüllungen greift auch bei uns die Angst vor dem „Big Brother“ um sich – und zwar die doppelte Angst vor dem staatlichen Big Brother und seinen Sicherheitsbehörden einerseits und den mächtigen Big-Data-Konzernen auf der andererseits. Mehr und mehr Menschen fragen – zurecht!-, wie das Ideal eines globalen, freien, offenen Netzes vereinbar sein soll mit Privatsphäre – und wie die Balance von Freiheit und Sicherheit im Netz geregelt werden soll.
Der alte Rolling Stones-Klassiker aus unseren Jugendzeiten "Get Off of My Cloud" – der kriegt heute jedenfalls eine ganz neue Bedeutung…

Wenn die Analyse bis hierhin stimmt, dann liegt das Problem für Deutschland auf der Hand – für Sie als Wirtschaft genau wie für mich als Außenpolitiker.

Die Rezession der Globalisierung bedroht diese exportstarke Volkswirtschaft.

Und die Hochkonjunktur der Gegensätze untergräbt das Handwerkszeug des Diplomaten.

Denn wer Konflikte lösen will, der braucht das Gegenteil von Gegensätzen – der muss sich auf die Suche nach Gemeinsamkeiten machen; muss insbesondere mit den schwierigen Gesprächspartnern nach gemeinsamen Sichtweisen und Interessen suchen.

Ich glaube, der erste Schritt zur Besserung liegt schon im Bewusstsein dessen, dass uns Deutschen die Krise der globalen Ordnung nicht egal sein darf! Wo wir nur können, müssen wir, Politiker und Wirtschaftsvertreter, uns Deutsche aufrütteln aus jeglichem Inseldenken – aus jeglicher Bequemlichkeit!

Wer zu sehr hängt am Mythos der glücklichen Insel, dem erzähle ich gern von einer Studie des McKinsey Global Institute, die vorrechnet, dass Deutschland das meistvernetzte Land der Welt ist. Und das nicht nur durch die Ströme von Waren und Kapital und Dienstleistungen, sondern auch in punkto Datenströme im Internet und durch die Migration von Menschen. Wenigen ist doch bewusst, dass in Deutschland der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung schon höher ist als im Einwanderungsland schlechthin, den USA!

Und wer das anerkennt,  der muss auch den nächsten Schritt gehen: Wir als meistvernetztes Land sind abhängig von einer friedlichen und regelbasierten Ordnung in der Welt und für sie müssen wir uns einsetzen! Nicht nur in Europa, sondern weltweit – zum Beispiel in Form der VN-Reform.

In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Diskussion um TTIP. TTIP ist in meinen Augen mehr als ein Freihandelsabkommen: Es ist der Versuch, gemeinsam mit unserem größten und ältesten Partner, den USA, die Regeln und Standards der Globalisierung zu prägen. Denn wenn wir sie nicht prägen, werden andere sie prägen, und dann sicherlich nicht nach den Vorstellungen, die wir von nachhaltigem Wirtschaften und Regeln für Arbeit, Umwelt und Handel haben – unseren Vorstellungen, die überhaupt nur dann Gewicht in der Welt entfalten werden, wenn wir uns mit den Partnern verständigen können, mit denen wir die größten Schnittmengen haben.

Das bringt mich zum nächsten Punkt, den wir anerkennen müssen: Die reine wirtschaftliche Vernetzung garantiert noch keine politische Ordnung. Letztlich ist auch das eine Lehre aus 1914, ein Jahr, an das wir uns genau hundert Jahre später oft erinnern. Damals hat die große wirtschaftliche und gesellschaftliche Vernetzung zwischen Nationen, die erste Welle der Globalisierung, die Katastrophe vom Sommer 1914 nicht verhindern können, als binnen Wochen alle Kanäle zwischen Europas Hauptstädten gekappt wurden und bald darauf nur noch die Kanonen sprachen.

Wirtschaftliche Globalisierung allein garantiert keine politische Konvergenz! Die Financial Times hat neulich formuliert: Der Kapitalismus ist politisch polygam. Mehr BMWs aus Moskaus Straßen und mehr VW-Werke in Chinas Ballungszentren führen nicht zwangsläufig zu mehr politischer Gemeinsamkeit –diese Einsicht widerlegt so manche Orthodoxie der 90er und 2000er Jahre.

Deshalb müssen wir eben weiter politisch werben und arbeiten für Völkerrecht und regelbasierte Ordnungen und sie verteidigen, wo sie in Frage gestellt sind.

Genau das hat Russland getan durch die Annexion der Krim und sein Vorgehen in der Ostukraine – und darauf mussten wir reagieren. Lassen Sie mich auch in diesem Rahmen noch einmal betonen: Wer die Regeln des Zusammenlebens in Europa verletzt, der gefährdet damit die Grundlagen sowohl unserer Sicherheit als auch unseres Wohlstands! Sie Unternehmer müssen sich in Ihrem Handelsgeschäft doch verlassen können auf freie, faire und friedliche internationale Regeln. Auf die Gefährdung haben wir reagiert, auch mit Sanktionen, die uns selbst wirtschaftliche Kosten verursachen – Doch die Kosten einer dauerhaft gefährdeten Ordnung in Europa sind eben sehr viel größer, und deshalb war und ist unsere Reaktion notwendig und darum, so glaube ich, liegt sie auch im langfristigen Interesse der Wirtschaft.

Der Druck, den wir mit Sanktionen ausüben, ist niemals Selbstzweck. Sondern Druck soll Bewegung erzeugen – Bewegung zurück an den Verhandlungstisch. Nur: Um zu verhandeln, muss man auch selbst verhandlungsbereit sein. Deshalb haben wir wieder und wieder Angebote gemacht und Foren entwickelt, in denen alle Seiten miteinander verhandeln: Treffen in Kiew, Brüssel, Berlin und Genf. OSZE-Beobachter. Runde Tische. In zwei Treffen haben wir den russischen und ukrainischen Außenminister in Berlin zusammengebracht und dabei auch den Boden bereitet für die dringend notwendige direkte Begegnung zwischen den Präsidenten Poroschenko und Putin, die dann in Minsk stattfand. Ja, mögen Sie sagen: Minsk gilt noch nicht, aber es ist eine gemeinsame Grundlage, zu der wir zurückkehren können und die wir weiter umsetzen müssen.

In dieser wie in anderen Krisen gilt leider ein alter Erfahrungswert der Außenpolitik: Einen Konflikt loszutreten dauert 14 Tage – ihn zu lösen 14 Jahre.

Deshalb müssen wir die Kanäle, die wir noch haben, pflegen und als das nutzen, was sie sind: Foren der Verhandlung und weniger als Inszenierungsarien für den medialen Anker.

Ich habe gesagt, was Sanktionen sind. Ich will ich auch sagen, was Sanktionen nicht sind. Neulich sagte ein europäischer Kollege in Brüssel: 'Die Sanktionen funktionieren – der wirtschaftliche Schaden für Russland ist immens – jetzt müssen wir weiter machen'! In der Tat: Die Sanktionen, in Kombination mit den vier Faktoren Kapitalflucht, verfallender Rubel, Investitionszurückhaltung, niedriger Ölpreis verursachen schwere wirtschaftliche Kosten für Russland – wohl 140 Milliarden Dollar jährlich. Aber es ist nicht Ziel unserer Sanktionen, Russland ökonomisch niederzuringen. Das ist brandgefährlich. Ein destabilisiertes, gar kollabierendes Russland ist am Ende für sich selbst und andere die viel größere Gefahr. Wer so redet, erweist europäischer Sicherheit einen Bärendienst.

Meine Sichtweise ist: Wenn Sanktionen zu Verhandlungen  bewegen, brauchen wir Kanäle zur Verhandlung und zum Dialog. Viele Formate sind bereits gekappt. Wir, die Bundeskanzlerin und ich, sprechen weiterhin direkt mit der russischen Führung. Nicht viele tun das noch. Und deshalb müssen wir die Foren, die uns geblieben sind, wie zum Beispiel den Petersburger Dialog, nutzen, in ihrer ganzen gesellschaftlichen Breite. Ja, dieser Dialog ist zwar in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, im selben Maße, in dem der gesellschaftliche Freiraum in Russland immer kleiner wurde. Ja, wir sollten über eine moderne, offenere Struktur nachdenken. Aber: Wir müssen aufpassen, dass aus dem Petersburger Dialog nicht ein Berliner Monolog wird! Zusätzlich sollten wir sogar über neue Kanäle nachdenken. Wenn, zum Beispiel, Russland nervös ist über die Assoziierungspolitik der EU und die EU nervös ist über die Eurasische Wirtschaftsunion Russlands – warum bringen wir Vertreter von beiden nicht lieber frühzeitig zu Gesprächen zusammen?

Ich weiß nicht, wie Europas Sicherheitsarchitektur in 10, 15 Jahren aussehen wird. Aber eines weiß ich: Es wird überhaupt nur eine geben, wenn wir sie nicht ohne oder gar gegen Russland anlegen. Es gibt darüber hinaus viele Krisenherde auf der Welt und in vielen davon – Iran, Syrien, etc. – werden wir ohne Russland einer Lösung nie näherkommen. Die, die sagen: "Mit denen sind wir fertig!" mögen sich zwar bei manchen Beifall holen – aber fertig werden wir nie! Ich weiß noch, wie zu Beginn der Ukraine-Krise der kanadische Außenminister bei einem Treffen sagte: 'Wir müssen uns jetzt entscheiden, ob Russland Freund oder Feind, Partner oder Gegner ist.' Ich sagte ihm: 'In Kanada kann man diese Frage vielleicht so stellen. In Europa wird Russland immer eines bleiben: ein sehr großer Nachbar, und er wird im Guten oder im Schlechten Einfluss auf unsere Entwicklung nehmen.'

Die Konfliktherde im Nahen und Mittleren Osten, die eben angeklungen sind, werden uns ebenfalls lange beschäftigen. Durch den brutalen Terror der ISIS haben sie ein unvorstellbares Ausmaß erreicht. Auf abscheuliche Weise treffen sich dort mittelalterliche Barbarei und Internet.

Auch dies ist beileibe kein regionaler Konflikt – kein Problem im Irak oder in Syrien allein, sondern dieser Terror richtet sich gegen die Menschlichkeit überhaupt. Das wird umso deutlicher, wenn wir den Blick auf uns selbst richten, auf Deutschland und Europa, und uns auch selbstkritisch fragen: Wie kann es sein, dass diese Hassprediger junge Menschen, die mitten in unseren eigenen Gesellschaften aufgewachsen sind, in ihren Bann ziehen?

Ich sage das, um deutlich zu machen: Bei allem Entsetzen, allem Abscheu, aller Wut, die wir verspüren bei den schrecklichen Bildern aus Kobane und anderswo: Eine militärische Reaktion allein wird nicht die Lösung sein, sondern sie muss eingebettet sein in eine politische Strategie. Das gilt auch für den Syrien-Konflikt, bei dem wir politisch in einer Sackgasse stecken, und ich deshalb den neuen VN-Sondergesandten Staffan de Mistura unterstütze in seinem Versuch, neue Wege, zum Beispiel mit dem Konzept lokaler Waffenstillstände, zu gehen.

Natürlich ist die militärische Reaktion ein Teil und wir weichen dem nicht aus. Im Sommer haben wir entschieden, den Kampf durch Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga zu unterstützen. Ich bin recht früh nach Erbil gereist und habe mit denen gesprochen, die sich aus den Bergen und Dörfern in Flüchtlingslager gerettet hatten. Sie alle hatten Familienmitglieder verloren, entweder durch die barbarische Gewalt der Terroristen oder auf der Flucht unter der erdrückenden Hitze von 44 Grad. Damals habe ich gespürt: Diesen Menschen kann ich jetzt nicht in die Augen schauen und sagen: 'Wie gut, dass es die Peschmerga gibt, die sich gegen die ISIS zur Wehr setzen, aber wenn es darauf ankommt, schicken wir denen nur Decken und Essenspakete.' Deshalb haben wir uns entschieden, Waffenhilfe zu leisten. Ja, es gilt unser Grundsatz, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Aber es gilt auch der Grundsatz, Menschenleben zu schützen und letztlich auch unsere eigene Sicherheit. In Fällen wie diesen besteht Außenpolitik in Abwägung von lauter nicht-perfekten Optionen. In solchen Fällen muss man aufpassen, ob man Grundsätze hochhält oder sich nicht hinter ihnen versteckt.

Auch beteiligen wir uns an der Hilfe für die Menschen, die das Leid unmittelbar zu tragen haben. NGOs, technisches Hilfswerk und die Bundeswehr fliegen und verteilen seit Beginn der Kämpfe Hilfsgüter im Irak und in Syrien. In dieser Woche verabschieden wir einen Bundeshaushalt, in dem wir die Mittel unserer humanitären Hilfe verdoppeln. Seit über drei Jahren fliehen Millionen von Menschen vor der Gewalt aus Syrien. Deutschland leistet bereits große Beiträge –sowohl finanziell als auch durch die Aufnahme von Flüchtlingen. Dennoch glaube ich, dass wir mehr tun müsse, gerade weil der Flüchtlingsstrom in die Nachbarstaaten – insbesondere Jordanien und  Libanon – selbst dort zum Stabilitätsrisiko wird. Zwei Beispiele: Im 4,5-Millionen-Land Libanon leben jetzt über 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge. In libanesischen Schulen gibt es mehr Flüchtlingskinder als einheimische. In Jordanien war Trinkwasser schon vor der Krise so knapp, dass die einheimische Bevölkerung nur einmal pro Woche Wasser erhalten hat. Jetzt ist es aufgrund der Flüchtlingswelle einmal in 14 Tagen. Zwei Beispiele, warum ich Ende Oktober zu einer internationalen Flüchtlingskonferenz ins Auswärtige Amt eingeladen habe, um gemeinsam mit den betroffenen Staaten und unseren Partnerländern die Unterstützung zu koordinieren und zu verhindern, dass dieser Konflikt eine ganze Region destabilisiert.

Meine Damen und Herren, nach diesem Rundgang durch eine Welt, die aus den Fugen gerät, lassen Sie mich am Ende nochmal einen Blick auf unser eigenes Land werfen: auf Deutschland und seine Rolle in der Welt.

Sie wissen: Ich spreche von Verantwortung, wenn ich für außenpolitisches Engagement werbe. Und ich wurde zu Beginn meiner zweiten Amtszeit oft gefragt: Warum legt er es darauf an? Ich will Ihnen sagen: Diese Verantwortung suchen wir nicht – wir haben sie schlichtweg!

Denn unsere Rolle in der Welt hat sich verändert. Jahrzehntelang, bis zu jenem 9. November 1989, war Deutschland ein Frontstaat des Kalten Krieges. West-Deutschland lebte im Schatten der Mauer und unter dem Schutzmantel des Westbündnisses, ganz besonders der USA. Wir waren ein Partner mit gleichen Rechten aber nicht mit gleichen Pflichten. Dann kam der Mauerfall und seither sind wir ein neues Land geworden:

Wiedervereint,

Wirtschaftlich stark,

Fest verankert in Europa,

Friedfertig und angesehen in der Welt,

Und jetzt auch noch Fußballweltmeister…

Diese Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte. Wir dürfen uns freuen darüber, aber genauso müssen wir sehen, wovon sie essenziell abhängt: von einer freien, friedlichen, regelbasierten Ordnung in der Welt. Und weil das so ist, muss ein Land wie wir, das überdurchschnittlich von internationaler Ordnung profitiert, auch überdurchschnittlich dazu beitragen, sie zu erhalten!

Und wenn ich Recht habe mit meiner Analyse, dass die Globalisierung in der Rezession steckt, dann ist unser außenpolitisches Engagement letztlich auch Konjunkturpolitik gegen diese Rezession und für das Ziel einer vernetzten und regelbasierten Welt, an der uns Deutschen so besonders gelegen ist.

Die Erwartung an deutsches Engagement begegnet mir täglich von meinen Gesprächspartnern im Ausland. Kürzlich habe ich eine große Gruppe von internationalen Experten gebeten, ihre Erwartungen an deutsche Außenpolitik zu formulieren. Hier sind nur einige Zitate: Deutschland solle "Europa anführen, um die Welt anzuführen", "Russland europäisieren" und "die USA multilateralisieren"! Keine ganz kleinen Aufgaben… Und wissen Sie, wer das gesagt hat? Kein Franzose, kein Amerikaner, sondern ein indischer Professor hat uns das geschrieben.

Und das Gegenbild - die Sicht aus Deutschland selbst? Die Körber-Stiftung hat kürzlich in einer Umfrage die Deutschen gefragt, ob sich Deutschland stärker als bisher international engagieren solle. "Ja" sagten 38 Prozent. "Nein, bitte weiter zurückhalten" sagten 60!

Das ist der Graben zwischen äußeren Erwartungen und innerer Bereitschaft, meine Damen und Herren, mit dem ich umzugehen habe. Um ehrlich zu sein: Wenn ich ein Ingenieur wäre, würde ich über einen solchen Graben guten Gewissens keine Brücke bauen. Als Politiker muss ich das! Und ich würde mich freuen –und wenn ich in meinem Vortrag nicht ganz falsch lag, dann liegt es sogar in Ihrem Interesse–, wenn die deutsche Wirtschaft ein bisschen dabei mithilft!

Vielen Dank.

Bundeskanzlerin | Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Jahrestagung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) am 26. November 2014

Bundeskanzlerin | Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Jahrestagung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) am 26. November 2014





Versicherungstag 2014

Rede von Angela Merkel

Achtung in Bearbeitung

Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Jahrestagung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) am 26. November 2014

Datum:
26. November 2014
Ort:
Berlin
in Berlin
Sehr geehrter Herr Erdland,
Herr von Fürstenwerth,
Herr Hoffmann,
Herr Huber,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
meine Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Einladung zu Ihrem diesjährigen Versicherungstag. Der Hauptgrund dafür, dass ich mich wirklich freue, heute dabei zu sein, ist auch das spezielle Motto, das Sie sich gegeben haben, das hinter mir zu sehen ist. Sie versichern „Werte“. Sie übernehmen „Verantwortung“ für das Gemeinwohl. Und dafür wird Ihnen auch viel „Vertrauen“ entgegengebracht.
Dafür, dass Ihnen das immer wieder gelingt, spricht schon allein die Tatsache, dass die deutschen Versicherer mit rund 460 Millionen Verträgen Risiken von Privatpersonen und Unternehmen unseres Landes übernehmen. Hätte ich raten müssen, wäre ich nicht auf 460 Millionen gekommen. Die Bedeutung der Versicherungsbranche für Wirtschaft und Gesellschaft ist also unbestritten. Als Branche selbst stellen Sie ein wirtschaftliches Schwergewicht dar: rund 550.000 Erwerbstätige und eine Kapitalanlage in Höhe von rund 1,4 Billionen Euro, etwa die Hälfte davon in Deutschland. Damit zählt unser Land zu den wichtigsten Versicherungsmärkten weltweit.
Sie sind gut durch das Geschäftsjahr 2013 gekommen, stehen aber, wie eben schon angeklungen war, vor erheblichen Herausforderungen. Dazu gehört nicht zuletzt das anhaltend niedrige Zinsniveau, das ganz besonders die Lebensversicherer auf die Probe stellt. Deshalb waren auch gesetzgeberische Maßnahmen wichtig und angezeigt. Sonst wäre zu befürchten gewesen, dass der zugesagte Garantiezins mittel- bis langfristig nicht mehr erwirtschaftet werden könnte. Mit dem im Sommer verabschiedeten Lebensversicherungsreformgesetz dürfte nun aber die Zukunftsfähigkeit des Produkts Lebensversicherung sichergestellt sein. Aber es ist mir auch wichtig hervorzuheben, dass hierzu alle an der Versicherung Beteiligten einen angemessenen Beitrag leisten müssen. – Mir fliegt hier gerade eine Uhr entgegen. Ist das Ihre? Nein. Jemand hat hier seine Armbanduhr auf dem Pult liegen lassen. Herr Hoffmann? Gut, ich bringe sie Ihnen mit. Das ist dann gut gelebte Partnerschaft. –
Wir stehen auch vor einer grundlegenden Reform der Versicherungsaufsicht. Wie Sie wissen, befinden wir uns nun auf der Zielgeraden zur Umsetzung des europäischen Regelwerks unter den Stichworten „Solvabilität II“ oder „Solvency II“ – ich muss sagen, der englische Begriff kommt einem besser über die Lippen. Das deutsche Umsetzungsgesetz, das „Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen“, wird derzeit im parlamentarischen Verfahren beraten. Die neuen Anforderungen sollen die Krisenresistenz der Versicherer erhöhen. Das hilft auch dementsprechend, den Ansprüchen der Versicherten gerecht zu werden.
Solvency II ist ein Teil der umfassenden Reformagenda zur Stabilisierung der Finanzmärkte. Sie wissen, wir haben uns zu Beginn der Finanzkrise vorgenommen: Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzmarkt ohne angemessene Regulierung. Hierbei haben wir sowohl auf europäischer Ebene – Deutschland teilweise als Vorreiter – als auch auf internationaler Ebene schon eine ganze Menge erreicht und die Rahmenbedingungen verändert.
Wir haben in der Europäischen Union einiges vorangebracht. Sie wissen, dass Anfang dieses Monats die Europäische Zentralbank die Aufsicht über die bedeutendsten Banken im Euroraum übernommen hat. Dem vorangegangen sind Stresstests, um den Zustand dieser Banken deutlich zu machen. Es ist gelungen, gemeinsame Regeln sowohl für die Sanierung als auch für die Abwicklung von Banken in Europa zu schaffen. Die Umsetzung in deutsches Recht hat der Deutsche Bundestag Anfang dieses Monats beschlossen.
Vorangegangen waren schwierige und langwierige Verhandlungen. Aber sie haben dazu geführt, dass in Europa nun nicht mehr zuerst der Steuerzahler einspringen muss, wenn eine Bank in Schieflage gerät. Das ist den Steuerzahlern nicht zuzumuten; und es wäre ihnen auf gar keinen Fall ein zweites Mal zuzumuten. Insofern ist es sehr wichtig, dass wir endlich auch einige sichtbare Erfolge haben. Das heißt, in Zukunft werden zuerst die Eigentümer und Bankgläubiger haften. Die Möglichkeit der Abwicklung wird im Vordergrund stehen. Das kann viel Geld kosten, weshalb ab 2015 EU-weit ein Sicherheitsnetz aus Bankenabgaben fällig wird. Wir in Deutschland praktizieren das bereits seit 2011. Das heißt, künftig müssen sich alle Banken an den Kosten einer etwaigen Abwicklung systemrelevanter Banken beteiligen.
Neben der guten Nachricht für die Steuerzahler gibt es auch eine für die Kontoinhaber. Denn wir haben auch die Weichen gestellt, um die Einlagensicherungssysteme in Europa zu verbessern. Damit werden Entschädigungen schneller und einfacher möglich. Das deutsche Umsetzungsgesetz haben wir vorige Woche im Kabinett beschlossen. Jetzt beginnen die parlamentarischen Arbeiten.
Auch bei der Beseitigung falscher Vergütungsanreize sind wir ein Stück weit vorangekommen. Wir haben Banken und Versicherer dazu verpflichtet, Vergütungssysteme einzuführen, die das Risikobewusstsein schärfen und auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet sind. Zudem werden seit Anfang dieses Jahres in der Europäischen Union die neuen und strengeren Regelungen für das Eigenkapital nach „Basel III“ stufenweise eingeführt. Mit einem größeren Eigenkapitalpolster kann im Notfall Schlimmeres abgefedert werden. In diesem Zusammenhang werde ich allerdings nicht müde zu betonen: Dass Europa das macht, ist schön; es wäre gut, es würde auch weltweit in ähnlicher Weise passieren.
Großes Kopfzerbrechen machen uns allerdings noch die Überwachung und Regulierung des Schattenbankensektors. Dieser Sektor birgt aber nicht nur Risiken, sondern auch Chancen, weil zum Beispiel der Realwirtschaft mit der Kreditfinanzierung durch Nichtbanken neben der klassischen Bankenfinanzierung immer auch eine Alternative zur Verfügung steht. Aber die Risiken sind nicht beiseite zu wischen. Vor allen Dingen müssen wir zwischen Banken und den sogenannten Schattenbanken vergleichbare Regelungen haben. Ansonsten gibt es natürlich Ausweichbewegungen in Bereiche, die nicht der Aufsicht unterliegen. Die Umschichtung in andere Formen der Anlage aber könnte sehr risikobehaftet sein. Das muss international geregelt werden – so wie es uns in der G20 auch bei systemrelevanten Banken gelungen ist. Deshalb bin ich froh darüber, dass wir beim G20-Gipfel in Australien zumindest den Arbeitsplan bis 2016 fortgeschrieben und uns fest vorgenommen haben, bis dahin auch im Schattenbankensektor eine Regulierung zu haben. Aber ich sage: Es geht langsam voran. Wir dürfen nicht vergessen: Es werden dann bereits acht Jahre nach der Finanzkrise vergangen sein. Da kann man nicht mehr von Eiltempo sprechen, obwohl man sich vor Augen führen sollte, was damals weltweit los war.
Wir sind aber vorangekommen, nicht nur auf europäischer, sondern auch auf internationaler Ebene. Auch für das sogenannte „too big to fail“-Problem – eine Bank ist zu groß, als dass man sie straucheln lassen könnte – haben wir Vereinbarungen getroffen. Wir müssen sie jetzt aber auch entschlossen umsetzen.
Meine Damen und Herren, sehr erfreulich ist auch, dass wir im Rahmen der G20 und durch exzellente Arbeiten der OECD auch im Bereich Steuern – sowohl bei der Frage der Steuergestaltungsmöglichkeiten multinationaler Konzerne also auch bei der Frage der Steuergerechtigkeit und Steuertransparenz – vorangekommen sind. Die automatische Informationspflicht wird ab 2017 eingeführt. In Berlin hat Wolfgang Schäuble diesbezüglich eine Tagung durchgeführt, auf der bereits 50 Länder unterzeichnet haben. Das wäre vor ein paar Jahren noch gar nicht vorstellbar gewesen. Daher bin ich mit den Ergebnissen sehr zufrieden.
Zum Thema Steuergerechtigkeit: Es läuft ein Projekt, das in Fachkreisen als „BEPS“-Projekt – „Base Erosion and Profit Shifting“ – bekannt ist, das sich dagegen wendet, dass immer wieder versucht wird, multinationale Konzerne ohne Steuerzahlungen davonkommen zu lassen. Das war auch eines der Themen in Australien. Bis Ende 2015 wollen wir das Projekt abschließen. Auch hierbei ist Europa Vorreiter. Deutschland hat mit Großbritannien als einem Land, das hierbei gewisse Erfahrungen hat – gerade was sogenannte Patentboxen anbelangt –, Einigkeit darin erzielt, dass wir diese Art von Tricks wirklich sein lassen müssen und wir eine gemeinsame Plattform für den Ausgangspunkt von Steuerzahlungen schrittweise erarbeiten müssen.
Natürlich war Wachstum das zentrale Thema auf dem Gipfel in Brisbane. Die australische Regierung hat als Gastgeber eine globale Infrastrukturinitiative ins Leben gerufen. Damit bin ich auch beim Thema Investitionen in Europa. Sie haben vollkommen recht: Wir brauchen Strukturreformen in Europa; wir brauchen mehr Investitionen. Wenn man private Investitionen haben möchte, muss auch das Umfeld stimmen, in dem Investoren zu investieren bereit sind. Deshalb brauchen wir auch ein entschiedenes Vorgehen beim Überwinden der Staatsschuldenkrise. Wir haben diese Krise noch nicht überwunden. Wir haben sie im Griff, aber wir haben sie noch nicht überwunden. Die Phänomene, die Ihnen Sorgen bereiten, sind ja auch genau darauf zurückzuführen.
Wir haben mit Irland, Portugal und Spanien drei von fünf Programmländern, die ihre Programme erfolgreich abschließen konnten. Wir haben jetzt bemerkenswerte Wachstumsraten in Irland. Wir haben auch in Portugal und Spanien wieder Wirtschaftswachstum. Wir haben die ersten Anzeichen dafür, dass auch die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Aber, meine Damen und Herren, sie ist noch viel zu hoch. Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern anschaut, dann stellt man fest, dass es teils fast die Hälfte der jungen Menschen eines Jahrgangs ist, die keine Arbeit hat. Wenn Finanzinvestoren Interesse an einem Kontinent haben sollen, dann muss die Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Das ist unsere große Aufgabe.
Jetzt stellt sich die Frage: Wo entstehen Jobs; und wie entstehen Jobs? Heute wird, parallel zu unseren Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag, über eine Initiative im Europäischen Parlament beraten. Jean-Claude Juncker hat mit seiner neuen Kommission ein 300-Milliarden-Euro-Paket vorgestellt, das durch die Europäische Investitionsbank verwaltet werden muss und wird. Aber, meine Damen und Herren, auch dabei wird sich die Aufgabe stellen, Projekte zu identifizieren, die wirklich investitionsreif sind. Hierbei geht es nicht nur um Verkehrsprojekte, sondern vor allen Dingen auch um Forschungsprojekte und Projekte im Zusammenhang mit der Digitalen Agenda, zum Beispiel Breitbandausbau.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit dem Dreiklang aus soliden Haushalten, Strukturreformen und Investitionen in zukunftsfähige Projekte aus der Krise, in der die Eurozone ist, herauskommen können, wenn wir aber auch bereit sind, das zu tun, was eine gemeinsame Währung noch dazu verlangt. Ein Stabilitäts- und Wachstumspakt ist gut; gemeinsame Regeln einzuhalten, was Neuverschuldung und Gesamtverschuldung anbelangt, ist okay. Aber ich bin der festen Überzeugung – im Übrigen hat das schon Jacques Delors geschrieben, bevor der Euro überhaupt eingeführt wurde –: Länder, die eine gemeinsame Währung haben, müssen sich auch wirtschaftspolitisch besser abstimmen. Sie sollten sich im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht auseinanderentwickeln, sondern kohärenter werden. Das heißt nicht, dass jeder das Gleiche machen muss. Aber es muss eine bestimmte gemeinsame Grundhaltung da sein.
Daher ist so wichtig für Europa, dass wir Verlässlichkeit und damit Vertrauen entwickeln. Wir haben in der Europäischen Union und in der Eurozone an die 90 Indikatoren, die wir uns schon vorgenommen haben – an die 90 Indikatoren, die wahrscheinlich kaum einer alle aufzählen kann. Kaum einen von diesen Indikatoren, die wir uns vorgenommen haben, halten wir auch wirklich ein – ob es nun darum geht, dass man im Jahr 2000 gesagt hat, Europa soll der wettbewerbsfähigste Kontinent der Welt werden, oder um die Zusage, dass drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. Der eine macht es, der andere macht es nicht. So kann man in einer Währungsunion nicht vernünftig miteinander wirtschaften. Das ist ein Problem in Europa, das wir bewältigen müssen. Meine Damen und Herren, das heißt also: Investitionen in Bildung, in Forschung, in zukunftsfähige Projekte.
Ich muss Ihnen auch noch berichten, auch wenn es für Sie nichts Neues ist: Das Selbstbewusstsein, mit dem die asiatischen Staaten auf dem G20-Gipfel aufgetreten sind, die Dynamik in dieser Region und die Bereitschaft, sich durch Freihandelsabkommen enger zu vernetzen, sind zum Teil atemberaubend. Vor dem G20-Gipfel fand der APEC-Gipfel in Peking statt. Das Transpazifische Partnerschaftsabkommen – das Pendant zum Transatlantischen Partnerschaftsabkommen – wird wahrscheinlich im ersten Halbjahr 2015 fertig verhandelt sein. Der chinesische Präsident hat in Australien ein Freihandelsabkommen zwischen China und Australien unterzeichnet. Wir müssen uns in Europa wirklich anstrengen, dass wir nicht abgehängt werden; und zwar – ich habe das auch heute im Deutschen Bundestag gesagt – aus zwei Gründen: zum einen, um als Exportnation Deutschland nicht abgehängt zu werden, und zum anderen, um Standards für Freihandelsabkommen setzen zu können. Wenn andere ihre bilateralen Freihandelsabkommen fertigverhandelt haben, brauchen wir ihnen mit unseren Standards nicht mehr kommen. Das heißt, wenn es um Verbraucherschutz, wenn es um Umweltschutz und Ähnliches geht, dann können wir jetzt noch Standards setzen. Aber das muss eben so geschehen, dass wir auch rechtzeitig fertig werden.
Ich will kurz etwas zu den innenpolitischen Rahmenbedingungen sagen, denn nicht nur Sie haben Herausforderungen zu bewältigen, sondern auch wir. Wir haben sehr klar gesagt, wir brauchen berechenbare Bedingungen; das heißt, keine Steuererhöhungen. Dabei wird es in dieser Legislaturperiode auch bleiben.
Des Weiteren haben wir es in diesem Jahr zum ersten Mal nach 46 Jahren geschafft bzw. werden es am Freitag schaffen, einen Bundeshaushalt zu verabschieden, der keine neuen Schulden vorsieht. Das ist nun auch so eine Sache: Solange wir das nicht erreicht hatten, hatte jeder gesagt, dass man das erst einmal erreichen müsste; in dem Moment aber, in dem wir kurz davor sind, es zu erreichen, wird das Ziel, das jahrelang ein zentrales war, als nicht mehr ganz so wichtig empfunden. Ich glaube, im Hinblick auf unsere demografische Entwicklung ist es ein wichtiges Zeichen, dass wir bei robuster Wirtschaftslage in der Lage sind zu sagen: Wir wollen nächstes Jahr mit dem auskommen, das wir einnehmen. Wir geben damit der jungen Generation ein Signal, dass zumindest keine neuen Schulden dazukommen sollen, was ja noch nicht bedeutet, dass irgendein Euro alter Schulden abgezahlt ist.
Die zweite große Herausforderung, vor der wir stehen, ist die Energiewende. Wir haben uns in Deutschland für einen anspruchsvollen Weg entschieden. Wir haben eine Wirtschaft, die natürlich nicht nur Versorgungssicherheit braucht, sondern auch bezahlbaren Strom. Gleichzeitig wollen wir den Weg zu mehr Umweltfreundlichkeit durch Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien gehen. Wir haben in der Koalition durch die Veränderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Berechenbarkeit geschaffen. Das ist aber nur ein Aspekt der Energiewende, denn wir brauchen jetzt auch neue Leitungssysteme – natürlich auch ein Gegenstand großer Diskussionen. Wir brauchen natürlich auch die Möglichkeit, Strom zu speichern. Und wir brauchen ein Versorgungssicherheitssystem – „Kapazitätsmärkte“ genannt. Darüber, wie wir das genau gestalten, müssen wir nachdenken. Und wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen: Wollen wir eigentlich einen gemeinsamen europäischen Markt im Energiebereich erreichen oder aber gestaltet jedes Land oder vielleicht sogar jedes Bundesland seine eigene Energiepolitik? Auch darüber gibt es noch interessante Diskussionen zu führen.
Meine Damen und Herren, wir haben eine ganze Reihe von Projekten beschlossen, die durchaus auch Bürokratie und neue Berichtspflichten verursachen oder der Wirtschaft Lasten zumuten, zum Beispiel den Mindestlohn. Wir wollen als Gegenmaßnahme aber auch danach fragen: Wo können wir an anderer Stelle Bürokratie abbauen? Wir wollen versuchen – nach dem Motto „One-in, One-out“ –, immer dann, wenn wir ein neues Gesetz mit Belastungen für die Wirtschaft angehen, an anderer Stelle Belastungen für die Wirtschaft abzubauen. Wir haben damit noch keine Erfahrungen, aber wir können durchaus Ermutigung brauchen. Sie glauben es mir noch nicht ganz – das würde ich auch nicht tun, sondern würde auch erst einmal abwarten, was passiert. Aber Ermutigung ist herzlich willkommen.
Meine Damen und Herren, was ich noch erwähnen möchte, ist das Thema Digitalisierung. Die Digitalisierung ist die große Herausforderung der nächsten Jahre; und zwar im Hinblick auf ihre Verschmelzung mit der realen Wirtschaft, in der Deutschland klassischerweise stark ist. Hierbei haben sich die Gewichte auf der Welt erheblich verschoben. Wir sind zwar realwirtschaftlich sehr stark. Wir haben mit der BASF das größte Chemieunternehmen der Welt. Wir sind herausragend im Automobilbau und Maschinenbau. Wir haben viele „Hidden Champions“ unter den Familienbetrieben und mittelständischen Betrieben. Aber wenn wir uns einmal ansehen, wo die Wertschöpfung im digitalen Bereich stattfindet, dann stellen wir fest, dass das nahezu ausnahmslos in großen Unternehmen aus den Vereinigten Staaten von Amerika oder aus Asien geschieht. Die Frage, wer das Auto der Zukunft baut, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden – vielleicht schneller, als wir denken. Daher geht es jetzt darum, mit unseren gewachsenen, großen Qualitäten in der Realwirtschaft wirklich Schritt zu halten mit der zunehmenden Digitalisierung – Stichwort Industrie 4.0. Wir befinden uns jetzt quasi in einer revolutionären Phase, in der sich Weltmarktführer neu sortieren; und es ist unsere Aufgabe, wieder vorne mit dabei zu sein.
Ich bin dankbar dafür, dass Herr Hoffmann gerade hier ist, denn die Frage nach der Arbeit der Zukunft ist von den Gewerkschaften aufgeworfen worden und hat seit Jahren zu einem Diskussionsprozess zwischen den Gewerkschaften, der Wirtschaft und der Regierung geführt. Wir sehen den Herausforderungen sehr nüchtern ins Auge und versuchen, Lösungen zu finden. Es bewährt sich einmal mehr das, was wir unter Sozialpartnerschaft in Deutschland verstehen und womit wir so gut durch die Krise gekommen sind. Dies sollten wir stärken, um jetzt die Zukunft richtig zu gestalten.
Meine Damen und Herren, wir wirtschaften nicht nur unter dem Eindruck der Euro-Schuldenkrise und der gerade überwundenen Finanzmarktkrise, sondern es hat sich in diesem Jahr auch eine Reihe globaler Risiken hinzugesellt, die nicht unbedingt zu erwarten waren. Wir hatten in diesem Jahr den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs und den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Als wir vor einem Jahr darüber diskutiert haben, wie wir ein solches Gedenkjahr gestalten, hatten wir eigentlich nicht gedacht, dass wir uns auch mit militärischen Auseinandersetzungen in unserer nächsten Nähe beschäftigen müssen, wie sie zwischen Russland und der Ukraine leider stattgefunden haben und trotz Waffenstillstand täglich noch stattfinden.
Ich weiß, dass viele auch auf deutscher Seite unter den Sanktionen leiden und dass sie auch auf die deutsche wirtschaftliche Entwicklung eine dämpfende Wirkung haben. Aber, meine Damen und Herren, es geht hierbei um sehr grundsätzliche Prinzipen. Es geht im Grunde um die Frage, ob das, was Europa jahrzehntelang Frieden eingebracht hat – nämlich die Akzeptanz der territorialen Integrität der einzelnen Länder –, infrage gestellt wird, einfach weil man stärker ist. Es geht darum, sich an das Rechtssystem zu halten und auch wirklich einzuhalten. Das ist keine Nebensächlichkeit und auch keine Frage, die man mal je nach Situation entscheiden kann, sondern es sagt etwas über das friedliche Zusammenleben in Europa aus.
Deshalb muss ich an dieser Stelle noch einmal daran erinnern: Die Ukraine ist Anfang der 90er Jahre unabhängig geworden. Sie hat darüber im Übrigen ein Referendum stattfinden lassen. Sie hat sich 1994 dazu bereit erklärt, ihre Nuklearwaffen abzugeben. Im Gegenzug haben sich Staaten dazu verpflichtet, die territoriale Integrität der Ukraine zu garantieren – das waren Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland. Dass das nicht eingehalten wurde, dass die Krim annektiert wurde, dass es auch russische Beteiligungen in Donezk und Lugansk gibt, ist deshalb etwas, auf das wir reagieren müssen. Wir haben von Anfang an gesagt: Wir reagieren darauf nicht militärisch. Diese Option hat es nie gegeben. Aber wenn wir reagieren wollen, dann sind Sanktionen ein Mittel. Sie sind kein Selbstzweck, aber sie sollen deutlich machen, dass wir mit den Geschehnissen nicht einverstanden sind.
Meine Damen und Herren, deshalb danke ich auch der Wirtschaft, die die Sanktionen alles in allem mitträgt. Ich hoffe, dass das, was unsere Erfahrung vor 25 Jahren war – dass nach Jahrzehnten der Kalte Krieg zu Ende ging, dass man einen langen Atem brauchte, aber dass es gelungen ist, die Diktaturen zu überwinden –, dass diese Erfahrung, dass alles möglich ist, uns auch die Kraft gibt, diesen Konflikt zu überwinden, von dem ich glaube, dass wir ihn überwinden können, wenn wir uns an unsere Prinzipen halten. Dazu brauchen wir – kein Land kann das alleine – ein entschlossenes und geschlossenes Europa.
Gerade auch bei den G20-Treffen mit den Ländern Indien und China, die jeweils über eine Milliarde Einwohner haben, zeigt es sich, wie wichtig es ist, dass wir mit 500 Millionen Menschen unsere Stimme als Europäer erheben. Da spielt auch die Versicherungswirtschaft eine ganz wichtige Rolle, um Vertrauen in die Zukunft herzustellen. Deshalb finde ich es bemerkenswert, dass Sie sich auch zum Beispiel mit Herrn Huber und mit den Gewerkschaften – also nicht nur aus der Perspektive der Versicherungswirtschaft, sondern auch mit dem Blick anderer auf Ihre Branche – mit diesem Thema auseinandersetzen.
Ich wünsche Ihnen – gerade auch in einem nicht ganz einfachen Umfeld – Erfolg. Ich wünsche Ihnen, dass Sie interessante Produkte anbieten. Ich biete an, dass wir über die weitere Entwicklung im Gespräch bleiben. Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Herzlichen Glückwunsch, Herr Erdland, zu Ihrer Wiederwahl. Diese ist ist auch ein Stück Kontinuität. Lassen Sie uns konstruktiv, manchmal auch strittig, aber im Sinne des Ganzen zusammenarbeiten. Herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier dabei sein durfte.

Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Jahrestagung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) am 26. November 2014

Chef vom Dienst - CvD - Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Jahrestagung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) am 26. November 2014



Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Jahrestagung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) am 26. November 2014

Datum:
26.11.2014
in Berlin
Sehr geehrter Herr Erdland,
Herr von Fürstenwerth,
Herr Hoffmann,
Herr Huber,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
meine Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Einladung zu Ihrem diesjährigen Versicherungstag. Der Hauptgrund dafür, dass ich mich wirklich freue, heute dabei zu sein, ist auch das spezielle Motto, das Sie sich gegeben haben, das hinter mir zu sehen ist. Sie versichern „Werte“. Sie übernehmen „Verantwortung“ für das Gemeinwohl. Und dafür wird Ihnen auch viel „Vertrauen“ entgegengebracht.
Dafür, dass Ihnen das immer wieder gelingt, spricht schon allein die Tatsache, dass die deutschen Versicherer mit rund 460 Millionen Verträgen Risiken von Privatpersonen und Unternehmen unseres Landes übernehmen. Hätte ich raten müssen, wäre ich nicht auf 460 Millionen gekommen. Die Bedeutung der Versicherungsbranche für Wirtschaft und Gesellschaft ist also unbestritten. Als Branche selbst stellen Sie ein wirtschaftliches Schwergewicht dar: rund 550.000 Erwerbstätige und eine Kapitalanlage in Höhe von rund 1,4 Billionen Euro, etwa die Hälfte davon in Deutschland. Damit zählt unser Land zu den wichtigsten Versicherungsmärkten weltweit.
Sie sind gut durch das Geschäftsjahr 2013 gekommen, stehen aber, wie eben schon angeklungen war, vor erheblichen Herausforderungen. Dazu gehört nicht zuletzt das anhaltend niedrige Zinsniveau, das ganz besonders die Lebensversicherer auf die Probe stellt. Deshalb waren auch gesetzgeberische Maßnahmen wichtig und angezeigt. Sonst wäre zu befürchten gewesen, dass der zugesagte Garantiezins mittel- bis langfristig nicht mehr erwirtschaftet werden könnte. Mit dem im Sommer verabschiedeten Lebensversicherungsreformgesetz dürfte nun aber die Zukunftsfähigkeit des Produkts Lebensversicherung sichergestellt sein. Aber es ist mir auch wichtig hervorzuheben, dass hierzu alle an der Versicherung Beteiligten einen angemessenen Beitrag leisten müssen. – Mir fliegt hier gerade eine Uhr entgegen. Ist das Ihre? Nein. Jemand hat hier seine Armbanduhr auf dem Pult liegen lassen. Herr Hoffmann? Gut, ich bringe sie Ihnen mit. Das ist dann gut gelebte Partnerschaft. –
Wir stehen auch vor einer grundlegenden Reform der Versicherungsaufsicht. Wie Sie wissen, befinden wir uns nun auf der Zielgeraden zur Umsetzung des europäischen Regelwerks unter den Stichworten „Solvabilität II“ oder „Solvency II“ – ich muss sagen, der englische Begriff kommt einem besser über die Lippen. Das deutsche Umsetzungsgesetz, das „Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen“, wird derzeit im parlamentarischen Verfahren beraten. Die neuen Anforderungen sollen die Krisenresistenz der Versicherer erhöhen. Das hilft auch dementsprechend, den Ansprüchen der Versicherten gerecht zu werden.
Solvency II ist ein Teil der umfassenden Reformagenda zur Stabilisierung der Finanzmärkte. Sie wissen, wir haben uns zu Beginn der Finanzkrise vorgenommen: Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzmarkt ohne angemessene Regulierung. Hierbei haben wir sowohl auf europäischer Ebene – Deutschland teilweise als Vorreiter – als auch auf internationaler Ebene schon eine ganze Menge erreicht und die Rahmenbedingungen verändert.
Wir haben in der Europäischen Union einiges vorangebracht. Sie wissen, dass Anfang dieses Monats die Europäische Zentralbank die Aufsicht über die bedeutendsten Banken im Euroraum übernommen hat. Dem vorangegangen sind Stresstests, um den Zustand dieser Banken deutlich zu machen. Es ist gelungen, gemeinsame Regeln sowohl für die Sanierung als auch für die Abwicklung von Banken in Europa zu schaffen. Die Umsetzung in deutsches Recht hat der Deutsche Bundestag Anfang dieses Monats beschlossen.
Vorangegangen waren schwierige und langwierige Verhandlungen. Aber sie haben dazu geführt, dass in Europa nun nicht mehr zuerst der Steuerzahler einspringen muss, wenn eine Bank in Schieflage gerät. Das ist den Steuerzahlern nicht zuzumuten; und es wäre ihnen auf gar keinen Fall ein zweites Mal zuzumuten. Insofern ist es sehr wichtig, dass wir endlich auch einige sichtbare Erfolge haben. Das heißt, in Zukunft werden zuerst die Eigentümer und Bankgläubiger haften. Die Möglichkeit der Abwicklung wird im Vordergrund stehen. Das kann viel Geld kosten, weshalb ab 2015 EU-weit ein Sicherheitsnetz aus Bankenabgaben fällig wird. Wir in Deutschland praktizieren das bereits seit 2011. Das heißt, künftig müssen sich alle Banken an den Kosten einer etwaigen Abwicklung systemrelevanter Banken beteiligen.
Neben der guten Nachricht für die Steuerzahler gibt es auch eine für die Kontoinhaber. Denn wir haben auch die Weichen gestellt, um die Einlagensicherungssysteme in Europa zu verbessern. Damit werden Entschädigungen schneller und einfacher möglich. Das deutsche Umsetzungsgesetz haben wir vorige Woche im Kabinett beschlossen. Jetzt beginnen die parlamentarischen Arbeiten.
Auch bei der Beseitigung falscher Vergütungsanreize sind wir ein Stück weit vorangekommen. Wir haben Banken und Versicherer dazu verpflichtet, Vergütungssysteme einzuführen, die das Risikobewusstsein schärfen und auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet sind. Zudem werden seit Anfang dieses Jahres in der Europäischen Union die neuen und strengeren Regelungen für das Eigenkapital nach „Basel III“ stufenweise eingeführt. Mit einem größeren Eigenkapitalpolster kann im Notfall Schlimmeres abgefedert werden. In diesem Zusammenhang werde ich allerdings nicht müde zu betonen: Dass Europa das macht, ist schön; es wäre gut, es würde auch weltweit in ähnlicher Weise passieren.
Großes Kopfzerbrechen machen uns allerdings noch die Überwachung und Regulierung des Schattenbankensektors. Dieser Sektor birgt aber nicht nur Risiken, sondern auch Chancen, weil zum Beispiel der Realwirtschaft mit der Kreditfinanzierung durch Nichtbanken neben der klassischen Bankenfinanzierung immer auch eine Alternative zur Verfügung steht. Aber die Risiken sind nicht beiseite zu wischen. Vor allen Dingen müssen wir zwischen Banken und den sogenannten Schattenbanken vergleichbare Regelungen haben. Ansonsten gibt es natürlich Ausweichbewegungen in Bereiche, die nicht der Aufsicht unterliegen. Die Umschichtung in andere Formen der Anlage aber könnte sehr risikobehaftet sein. Das muss international geregelt werden – so wie es uns in der G20 auch bei systemrelevanten Banken gelungen ist. Deshalb bin ich froh darüber, dass wir beim G20-Gipfel in Australien zumindest den Arbeitsplan bis 2016 fortgeschrieben und uns fest vorgenommen haben, bis dahin auch im Schattenbankensektor eine Regulierung zu haben. Aber ich sage: Es geht langsam voran. Wir dürfen nicht vergessen: Es werden dann bereits acht Jahre nach der Finanzkrise vergangen sein. Da kann man nicht mehr von Eiltempo sprechen, obwohl man sich vor Augen führen sollte, was damals weltweit los war.
Wir sind aber vorangekommen, nicht nur auf europäischer, sondern auch auf internationaler Ebene. Auch für das sogenannte „too big to fail“-Problem – eine Bank ist zu groß, als dass man sie straucheln lassen könnte – haben wir Vereinbarungen getroffen. Wir müssen sie jetzt aber auch entschlossen umsetzen.
Meine Damen und Herren, sehr erfreulich ist auch, dass wir im Rahmen der G20 und durch exzellente Arbeiten der OECD auch im Bereich Steuern – sowohl bei der Frage der Steuergestaltungsmöglichkeiten multinationaler Konzerne also auch bei der Frage der Steuergerechtigkeit und Steuertransparenz – vorangekommen sind. Die automatische Informationspflicht wird ab 2017 eingeführt. In Berlin hat Wolfgang Schäuble diesbezüglich eine Tagung durchgeführt, auf der bereits 50 Länder unterzeichnet haben. Das wäre vor ein paar Jahren noch gar nicht vorstellbar gewesen. Daher bin ich mit den Ergebnissen sehr zufrieden.
Zum Thema Steuergerechtigkeit: Es läuft ein Projekt, das in Fachkreisen als „BEPS“-Projekt – „Base Erosion and Profit Shifting“ – bekannt ist, das sich dagegen wendet, dass immer wieder versucht wird, multinationale Konzerne ohne Steuerzahlungen davonkommen zu lassen. Das war auch eines der Themen in Australien. Bis Ende 2015 wollen wir das Projekt abschließen. Auch hierbei ist Europa Vorreiter. Deutschland hat mit Großbritannien als einem Land, das hierbei gewisse Erfahrungen hat – gerade was sogenannte Patentboxen anbelangt –, Einigkeit darin erzielt, dass wir diese Art von Tricks wirklich sein lassen müssen und wir eine gemeinsame Plattform für den Ausgangspunkt von Steuerzahlungen schrittweise erarbeiten müssen.
Natürlich war Wachstum das zentrale Thema auf dem Gipfel in Brisbane. Die australische Regierung hat als Gastgeber eine globale Infrastrukturinitiative ins Leben gerufen. Damit bin ich auch beim Thema Investitionen in Europa. Sie haben vollkommen recht: Wir brauchen Strukturreformen in Europa; wir brauchen mehr Investitionen. Wenn man private Investitionen haben möchte, muss auch das Umfeld stimmen, in dem Investoren zu investieren bereit sind. Deshalb brauchen wir auch ein entschiedenes Vorgehen beim Überwinden der Staatsschuldenkrise. Wir haben diese Krise noch nicht überwunden. Wir haben sie im Griff, aber wir haben sie noch nicht überwunden. Die Phänomene, die Ihnen Sorgen bereiten, sind ja auch genau darauf zurückzuführen.
Wir haben mit Irland, Portugal und Spanien drei von fünf Programmländern, die ihre Programme erfolgreich abschließen konnten. Wir haben jetzt bemerkenswerte Wachstumsraten in Irland. Wir haben auch in Portugal und Spanien wieder Wirtschaftswachstum. Wir haben die ersten Anzeichen dafür, dass auch die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Aber, meine Damen und Herren, sie ist noch viel zu hoch. Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern anschaut, dann stellt man fest, dass es teils fast die Hälfte der jungen Menschen eines Jahrgangs ist, die keine Arbeit hat. Wenn Finanzinvestoren Interesse an einem Kontinent haben sollen, dann muss die Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Das ist unsere große Aufgabe.
Jetzt stellt sich die Frage: Wo entstehen Jobs; und wie entstehen Jobs? Heute wird, parallel zu unseren Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag, über eine Initiative im Europäischen Parlament beraten. Jean-Claude Juncker hat mit seiner neuen Kommission ein 300-Milliarden-Euro-Paket vorgestellt, das durch die Europäische Investitionsbank verwaltet werden muss und wird. Aber, meine Damen und Herren, auch dabei wird sich die Aufgabe stellen, Projekte zu identifizieren, die wirklich investitionsreif sind. Hierbei geht es nicht nur um Verkehrsprojekte, sondern vor allen Dingen auch um Forschungsprojekte und Projekte im Zusammenhang mit der Digitalen Agenda, zum Beispiel Breitbandausbau.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit dem Dreiklang aus soliden Haushalten, Strukturreformen und Investitionen in zukunftsfähige Projekte aus der Krise, in der die Eurozone ist, herauskommen können, wenn wir aber auch bereit sind, das zu tun, was eine gemeinsame Währung noch dazu verlangt. Ein Stabilitäts- und Wachstumspakt ist gut; gemeinsame Regeln einzuhalten, was Neuverschuldung und Gesamtverschuldung anbelangt, ist okay. Aber ich bin der festen Überzeugung – im Übrigen hat das schon Jacques Delors geschrieben, bevor der Euro überhaupt eingeführt wurde –: Länder, die eine gemeinsame Währung haben, müssen sich auch wirtschaftspolitisch besser abstimmen. Sie sollten sich im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht auseinanderentwickeln, sondern kohärenter werden. Das heißt nicht, dass jeder das Gleiche machen muss. Aber es muss eine bestimmte gemeinsame Grundhaltung da sein.
Daher ist so wichtig für Europa, dass wir Verlässlichkeit und damit Vertrauen entwickeln. Wir haben in der Europäischen Union und in der Eurozone an die 90 Indikatoren, die wir uns schon vorgenommen haben – an die 90 Indikatoren, die wahrscheinlich kaum einer alle aufzählen kann. Kaum einen von diesen Indikatoren, die wir uns vorgenommen haben, halten wir auch wirklich ein – ob es nun darum geht, dass man im Jahr 2000 gesagt hat, Europa soll der wettbewerbsfähigste Kontinent der Welt werden, oder um die Zusage, dass drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. Der eine macht es, der andere macht es nicht. So kann man in einer Währungsunion nicht vernünftig miteinander wirtschaften. Das ist ein Problem in Europa, das wir bewältigen müssen. Meine Damen und Herren, das heißt also: Investitionen in Bildung, in Forschung, in zukunftsfähige Projekte.
Ich muss Ihnen auch noch berichten, auch wenn es für Sie nichts Neues ist: Das Selbstbewusstsein, mit dem die asiatischen Staaten auf dem G20-Gipfel aufgetreten sind, die Dynamik in dieser Region und die Bereitschaft, sich durch Freihandelsabkommen enger zu vernetzen, sind zum Teil atemberaubend. Vor dem G20-Gipfel fand der APEC-Gipfel in Peking statt. Das Transpazifische Partnerschaftsabkommen – das Pendant zum Transatlantischen Partnerschaftsabkommen – wird wahrscheinlich im ersten Halbjahr 2015 fertig verhandelt sein. Der chinesische Präsident hat in Australien ein Freihandelsabkommen zwischen China und Australien unterzeichnet. Wir müssen uns in Europa wirklich anstrengen, dass wir nicht abgehängt werden; und zwar – ich habe das auch heute im Deutschen Bundestag gesagt – aus zwei Gründen: zum einen, um als Exportnation Deutschland nicht abgehängt zu werden, und zum anderen, um Standards für Freihandelsabkommen setzen zu können. Wenn andere ihre bilateralen Freihandelsabkommen fertigverhandelt haben, brauchen wir ihnen mit unseren Standards nicht mehr kommen. Das heißt, wenn es um Verbraucherschutz, wenn es um Umweltschutz und Ähnliches geht, dann können wir jetzt noch Standards setzen. Aber das muss eben so geschehen, dass wir auch rechtzeitig fertig werden.
Ich will kurz etwas zu den innenpolitischen Rahmenbedingungen sagen, denn nicht nur Sie haben Herausforderungen zu bewältigen, sondern auch wir. Wir haben sehr klar gesagt, wir brauchen berechenbare Bedingungen; das heißt, keine Steuererhöhungen. Dabei wird es in dieser Legislaturperiode auch bleiben.
Des Weiteren haben wir es in diesem Jahr zum ersten Mal nach 46 Jahren geschafft bzw. werden es am Freitag schaffen, einen Bundeshaushalt zu verabschieden, der keine neuen Schulden vorsieht. Das ist nun auch so eine Sache: Solange wir das nicht erreicht hatten, hatte jeder gesagt, dass man das erst einmal erreichen müsste; in dem Moment aber, in dem wir kurz davor sind, es zu erreichen, wird das Ziel, das jahrelang ein zentrales war, als nicht mehr ganz so wichtig empfunden. Ich glaube, im Hinblick auf unsere demografische Entwicklung ist es ein wichtiges Zeichen, dass wir bei robuster Wirtschaftslage in der Lage sind zu sagen: Wir wollen nächstes Jahr mit dem auskommen, das wir einnehmen. Wir geben damit der jungen Generation ein Signal, dass zumindest keine neuen Schulden dazukommen sollen, was ja noch nicht bedeutet, dass irgendein Euro alter Schulden abgezahlt ist.
Die zweite große Herausforderung, vor der wir stehen, ist die Energiewende. Wir haben uns in Deutschland für einen anspruchsvollen Weg entschieden. Wir haben eine Wirtschaft, die natürlich nicht nur Versorgungssicherheit braucht, sondern auch bezahlbaren Strom. Gleichzeitig wollen wir den Weg zu mehr Umweltfreundlichkeit durch Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien gehen. Wir haben in der Koalition durch die Veränderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Berechenbarkeit geschaffen. Das ist aber nur ein Aspekt der Energiewende, denn wir brauchen jetzt auch neue Leitungssysteme – natürlich auch ein Gegenstand großer Diskussionen. Wir brauchen natürlich auch die Möglichkeit, Strom zu speichern. Und wir brauchen ein Versorgungssicherheitssystem – „Kapazitätsmärkte“ genannt. Darüber, wie wir das genau gestalten, müssen wir nachdenken. Und wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen: Wollen wir eigentlich einen gemeinsamen europäischen Markt im Energiebereich erreichen oder aber gestaltet jedes Land oder vielleicht sogar jedes Bundesland seine eigene Energiepolitik? Auch darüber gibt es noch interessante Diskussionen zu führen.
Meine Damen und Herren, wir haben eine ganze Reihe von Projekten beschlossen, die durchaus auch Bürokratie und neue Berichtspflichten verursachen oder der Wirtschaft Lasten zumuten, zum Beispiel den Mindestlohn. Wir wollen als Gegenmaßnahme aber auch danach fragen: Wo können wir an anderer Stelle Bürokratie abbauen? Wir wollen versuchen – nach dem Motto „One-in, One-out“ –, immer dann, wenn wir ein neues Gesetz mit Belastungen für die Wirtschaft angehen, an anderer Stelle Belastungen für die Wirtschaft abzubauen. Wir haben damit noch keine Erfahrungen, aber wir können durchaus Ermutigung brauchen. Sie glauben es mir noch nicht ganz – das würde ich auch nicht tun, sondern würde auch erst einmal abwarten, was passiert. Aber Ermutigung ist herzlich willkommen.
Meine Damen und Herren, was ich noch erwähnen möchte, ist das Thema Digitalisierung. Die Digitalisierung ist die große Herausforderung der nächsten Jahre; und zwar im Hinblick auf ihre Verschmelzung mit der realen Wirtschaft, in der Deutschland klassischerweise stark ist. Hierbei haben sich die Gewichte auf der Welt erheblich verschoben. Wir sind zwar realwirtschaftlich sehr stark. Wir haben mit der BASF das größte Chemieunternehmen der Welt. Wir sind herausragend im Automobilbau und Maschinenbau. Wir haben viele „Hidden Champions“ unter den Familienbetrieben und mittelständischen Betrieben. Aber wenn wir uns einmal ansehen, wo die Wertschöpfung im digitalen Bereich stattfindet, dann stellen wir fest, dass das nahezu ausnahmslos in großen Unternehmen aus den Vereinigten Staaten von Amerika oder aus Asien geschieht. Die Frage, wer das Auto der Zukunft baut, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden – vielleicht schneller, als wir denken. Daher geht es jetzt darum, mit unseren gewachsenen, großen Qualitäten in der Realwirtschaft wirklich Schritt zu halten mit der zunehmenden Digitalisierung – Stichwort Industrie 4.0. Wir befinden uns jetzt quasi in einer revolutionären Phase, in der sich Weltmarktführer neu sortieren; und es ist unsere Aufgabe, wieder vorne mit dabei zu sein.
Ich bin dankbar dafür, dass Herr Hoffmann gerade hier ist, denn die Frage nach der Arbeit der Zukunft ist von den Gewerkschaften aufgeworfen worden und hat seit Jahren zu einem Diskussionsprozess zwischen den Gewerkschaften, der Wirtschaft und der Regierung geführt. Wir sehen den Herausforderungen sehr nüchtern ins Auge und versuchen, Lösungen zu finden. Es bewährt sich einmal mehr das, was wir unter Sozialpartnerschaft in Deutschland verstehen und womit wir so gut durch die Krise gekommen sind. Dies sollten wir stärken, um jetzt die Zukunft richtig zu gestalten.
Meine Damen und Herren, wir wirtschaften nicht nur unter dem Eindruck der Euro-Schuldenkrise und der gerade überwundenen Finanzmarktkrise, sondern es hat sich in diesem Jahr auch eine Reihe globaler Risiken hinzugesellt, die nicht unbedingt zu erwarten waren. Wir hatten in diesem Jahr den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs und den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Als wir vor einem Jahr darüber diskutiert haben, wie wir ein solches Gedenkjahr gestalten, hatten wir eigentlich nicht gedacht, dass wir uns auch mit militärischen Auseinandersetzungen in unserer nächsten Nähe beschäftigen müssen, wie sie zwischen Russland und der Ukraine leider stattgefunden haben und trotz Waffenstillstand täglich noch stattfinden.
Ich weiß, dass viele auch auf deutscher Seite unter den Sanktionen leiden und dass sie auch auf die deutsche wirtschaftliche Entwicklung eine dämpfende Wirkung haben. Aber, meine Damen und Herren, es geht hierbei um sehr grundsätzliche Prinzipen. Es geht im Grunde um die Frage, ob das, was Europa jahrzehntelang Frieden eingebracht hat – nämlich die Akzeptanz der territorialen Integrität der einzelnen Länder –, infrage gestellt wird, einfach weil man stärker ist. Es geht darum, sich an das Rechtssystem zu halten und auch wirklich einzuhalten. Das ist keine Nebensächlichkeit und auch keine Frage, die man mal je nach Situation entscheiden kann, sondern es sagt etwas über das friedliche Zusammenleben in Europa aus.
Deshalb muss ich an dieser Stelle noch einmal daran erinnern: Die Ukraine ist Anfang der 90er Jahre unabhängig geworden. Sie hat darüber im Übrigen ein Referendum stattfinden lassen. Sie hat sich 1994 dazu bereit erklärt, ihre Nuklearwaffen abzugeben. Im Gegenzug haben sich Staaten dazu verpflichtet, die territoriale Integrität der Ukraine zu garantieren – das waren Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland. Dass das nicht eingehalten wurde, dass die Krim annektiert wurde, dass es auch russische Beteiligungen in Donezk und Lugansk gibt, ist deshalb etwas, auf das wir reagieren müssen. Wir haben von Anfang an gesagt: Wir reagieren darauf nicht militärisch. Diese Option hat es nie gegeben. Aber wenn wir reagieren wollen, dann sind Sanktionen ein Mittel. Sie sind kein Selbstzweck, aber sie sollen deutlich machen, dass wir mit den Geschehnissen nicht einverstanden sind.
Meine Damen und Herren, deshalb danke ich auch der Wirtschaft, die die Sanktionen alles in allem mitträgt. Ich hoffe, dass das, was unsere Erfahrung vor 25 Jahren war – dass nach Jahrzehnten der Kalte Krieg zu Ende ging, dass man einen langen Atem brauchte, aber dass es gelungen ist, die Diktaturen zu überwinden –, dass diese Erfahrung, dass alles möglich ist, uns auch die Kraft gibt, diesen Konflikt zu überwinden, von dem ich glaube, dass wir ihn überwinden können, wenn wir uns an unsere Prinzipen halten. Dazu brauchen wir – kein Land kann das alleine – ein entschlossenes und geschlossenes Europa.
Gerade auch bei den G20-Treffen mit den Ländern Indien und China, die jeweils über eine Milliarde Einwohner haben, zeigt es sich, wie wichtig es ist, dass wir mit 500 Millionen Menschen unsere Stimme als Europäer erheben. Da spielt auch die Versicherungswirtschaft eine ganz wichtige Rolle, um Vertrauen in die Zukunft herzustellen. Deshalb finde ich es bemerkenswert, dass Sie sich auch zum Beispiel mit Herrn Huber und mit den Gewerkschaften – also nicht nur aus der Perspektive der Versicherungswirtschaft, sondern auch mit dem Blick anderer auf Ihre Branche – mit diesem Thema auseinandersetzen.
Ich wünsche Ihnen – gerade auch in einem nicht ganz einfachen Umfeld – Erfolg. Ich wünsche Ihnen, dass Sie interessante Produkte anbieten. Ich biete an, dass wir über die weitere Entwicklung im Gespräch bleiben. Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Herzlichen Glückwunsch, Herr Erdland, zu Ihrer Wiederwahl. Diese ist ist auch ein Stück Kontinuität. Lassen Sie uns konstruktiv, manchmal auch strittig, aber im Sinne des Ganzen zusammenarbeiten. Herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier dabei sein durfte.

President Obama: "Let's Build Some Bridges. Let's Build Some Roads." | The White House

President Obama: "Let's Build Some Bridges. Let's Build Some Roads." | The White House

Bundeskanzlerin Merkel wirbt für „spannende“ Investitionsprojekte auf de...

Montag, 24. November 2014

Statement by Ambassador Michael Froman Following Meeting with European Union Trade Commissioner Cecilia Malmström | Office of the United States Trade Representative

Statement by Ambassador Michael Froman Following Meeting with European Union Trade Commissioner Cecilia Malmström | Office of the United States Trade Representative

Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit Uli Deppendorf i...

Video: Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier | tagesschau.de

Video: Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier | tagesschau.de

Iran-Abkommen: Neue Koordinaten in der Weltpolitik? von Marion von Haare...

Bericht aus Berlin, 23.11.2014: Iran-Abkommen: Neue Koordinaten in der Weltpolitik? | tagesschau.de

Bericht aus Berlin, 23.11.2014: Iran-Abkommen: Neue Koordinaten in der Weltpolitik? | tagesschau.de

Samstag, 22. November 2014

Statement by Ambassador Michael Froman Following Meeting with European Union Trade Commissioner Cecilia Malmström | Office of the United States Trade Representative

Statement by Ambassador Michael Froman Following Meeting with European Union Trade Commissioner Cecilia Malmström | Office of the United States Trade Representative

Statement by Ambassador Michael Froman Following Meeting with European Union Trade Commissioner Cecilia Malmström | Office of the United States Trade Representative 



U.S. Trade Representative Michael Froman met today with European Union Trade Commissioner Cecilia Malmström in Brussels, Belgium to discuss the Transatlantic Trade & Investment Partnership (T-TIP).  The meeting was their first face-to-face meeting and an opportunity to discuss their work on a fresh start to the negotiations. The meeting builds on the leaders meeting that took place in Brisbane, Australia during the G-20, where President Barack Obama and European Union President Juncker, and European leaders recommitted to the aims of T-TIP. Commissioner Malmström will visit Washington December 8-9 to meet again with Ambassador Froman.  That meeting will be followed by a formal negotiating round in Brussels in early February.
Following the meeting, Ambassador Froman released the following statement:
“We have an opportunity to work together for a fresh start to the negotiations and we are off to a good beginning. The United States is committed to moving forward with T-TIP as soon as we can and as fast as we’re able. T-TIP can make a major contribution towards underscoring that the transatlantic relationship is second to none at a time of geopolitical uncertainty around the world. We very much look forward to working with Commissioner Malmström and her colleagues toward that objective.”

Speech Cecilia Malmström, European Commissioner for Trade to TTIP and Consumers: The Good (without the Bad or the Ugly)

European Commission - PRESS RELEASES - Press release - TTIP and Consumers: The Good (without the Bad or the Ugly)

European Commission - Speech - [Check Against Delivery]

TTIP and Consumers: The Good (without the Bad or the Ugly)

Brussels, 18 November 2014
Cecilia Malmström, European Commissioner for Trade
European Parliament, Conference "TTIP and Consumers: The Good, the Bad, and the Ugly"

Ladies and gentlemen,
I like the title of this event.
I like it because Sergio Leone's film was made with style, technique and – above all – exceptional transatlantic cooperation.
  • Set in the Old American West, it was filmed in the Andalucían countryside.
  • Following a European script, it was produced by a Hollywood studio.
  • Driven by the vision of an Italian director, it was brought to life by an American star.
I understand Clint Eastwood even took part of his payment in the form of a Ferrari:
A transatlantic trade success story if ever there was one.
If we can cooperate like that on the Transatlantic Trade and Investment Partnership, we can't fail to get a good result, a result that is good for people on both sides of the Atlantic: workers, entrepreneurs and, of course, consumers – who we are focusing on today.
Now, I also know that this title can be interpreted differently, to mean that the consequences of this negotiation for consumers will be far less positive.
I do not agree.
This is one of my first chances to speak in public since I became Trade Commissioner just over two weeks ago. As I said to some of you at my hearing, I want to spend the start of my term examining these negotiations. And I will only make a political assessment of where we stand and what we need to reach our goals after that is done.
For now, listening is my top priority.
But two core principles are already clear to me.
First, we can and we must negotiate an agreement that responds to European consumers' needs and concerns. It cannot be bad or ugly.
And second, we can only do that if we work cooperatively with all the different political forces and civil society organisations across our continent, and with our partners on the other side of the Atlantic.
Let me start at the beginning. What do consumers need?
First, they need things from the economy:
  • Like value for money, meaning high quality goods and services at fair prices,
  • and a job with a decent income, so they can afford to buy what they need.
Second, they need things from government:
  • They need peace of mind, meaning strong regulation on safety, consumer rights, the environment and finance.
  • And they need easy access to the kind of high quality public services that markets do not provide.
The Transatlantic Trade and Investment Partnership must respond to both of these kinds of needs. Why? Because the only valid measure of the success of this negotiation will be whether it improves people's lives. So it doesn't make sense to give to consumers with one hand and take away with the other. TTIP of course cannot provide all the answers. It is just one part of what we have to do to put Europe on track. But it must contribute across the board.
How can we do that in practice?
In two ways:
  • To help consumers get what they need from the economy we must design this partnership withambition.
  • To help consumers get what they need from government we must combine that ambition withcaution.
Let's start with the economy.
Trade agreements can lower prices, widen choice and create high quality jobs. TTIP must do exactly that.
When we lower the cost of trade, companies who are already trading across borders pass many of their savings on to consumers – if not all of them.
We have seen this happen before. When the World Trade Organisation opened up the global textiles and clothing market, prices in Europe fell by more than 15%. And price cuts like that benefit the poorest in our society the most.
Making trade easier also allows new companies onto the market who couldn't afford that access before. That makes us more competitive, more resilient, and more able to take on global rivals.
It also puts more pressure on the bigger companies to pass on any cost savings to consumers.
We also know this works. After the Single Market was created, the extra profits that companies made from consumers, over and above the cost of making their products, fell by around a third.
Some people seem to believe that this is a short term gain for a long term loss – cheaper goods from abroad today, in exchange for lost jobs at home tomorrow.
Well that's just plain wrong. More trade does not only lead to consumer savings it also leads to longer term competitiveness and high quality jobs.
Exports provide jobs for about 10% of people working in Europe today. Those jobs tend to be higher-skilled and therefore higher paying.
When trade negotiations lead to more export opportunities, they create more of these kinds of jobs: The kind of jobs Europe needs for our future.
All this has only one implication for the Transatlantic Trade and Investment Partnership. It has to be ambitious.
If we want to provide these kinds of benefits then we must significantly reduce the cost of trading across the Atlantic.
That means getting significant results on all parts of this negotiation:
  • On market access for goods, services, investment and public procurement.
  • On rules about energy, geographical indications or competition.
  • And, most importantly, on regulatory cooperation.
That brings us to the second set of consumer needs that this agreement must support: what they need from government.
Here we must combine ambition and caution... because consumers must have trust in the products on sale.
Caution means this agreement must not undermine governments' ability to protect people from safety, environmental or financial risks or to provide high quality public services like education or health.
As regards public services, caution means following the EU's standard approach to public services in trade agreements.
Because no EU trade agreement that follows that approach has ever stopped a Member State from organising its health or education system in the way it chooses.
As regards regulation, caution means we have to focus our work on those areas where EU and US regulations follow similar standards. That goes for car safety, factory inspections for pharmaceuticals and traceability of medical devices. In areas like these, cooperation can reduce trade costs at no cost to safety.
Caution also means that we must not change our laws in areas where our they are just too different – like genetically modified food or hormone beef.
And that we must not restrict our ability to regulate on future issues when we need to.
Caution also applies to investor-to-state dispute settlement.
I do not have an announcement to make on that today. The Commission is still processing the answers from the public consultation.
But President Juncker and I have both been very clear on what we will and will not do.
Caution alone, however, will miss other opportunities to help consumers get what they need from government. We need ambition here too.  
Ambition means using regulatory cooperation to boost sharing of knowledge and best practices between our highly talented regulators. That will lead to better results for citizens.
Ambition also means using cooperation to make regulation more effective and efficient. Pharmaceutical inspections are one example of where this is possible. It's absurd that factories have to be inspected twice – by European and American agencies – to check they comply with the same good manufacturing practices. That is time those inspectors can put to better use on real risks to patient safety.
Ambition also means using good regulatory outcomes to lower medical costs for patients and government health services. We abolished on tariffs on medicines and medical devices long ago to keep costs down. Closer regulatory cooperation on those products is the next logical step.
Ambition also means having a more prosperous Europe that will be better able to pay for our all our public services.
The final way that an ambitious agreement can help consumers get what they need from governments is by strengthening the transatlantic alliance.
To understand this we need to think about the bigger picture and about the past, the present and the future.
One of the greatest successes of the European Union is that the majority of our consumers have been able to get most of what they need for a great many of last 60 years.
Economic integration has boosted their prosperity. EU regulation has safeguarded their health, safety and consumer rights
And with the fall of the wall 25 years ago this month, and the enlargements of the last decade that circle of consumer empowerment has been gradually expanding.
But today, European people on the whole do not feel secure about their future.
They are concerned about the state of our economy. They are concerned about the complex economic and political changes of globalisation. The economic rise of emerging economies is a huge step forward for humanity.
But it does means less influence for Europe in the world in the future. That leads people to ask if European standards and values can be protected. This agreement can help us answer that question with a clear "Yes."
We can forge a new partnership between Europe and the United States to defend the values and standards we share. The more that the EU and the US can agree on regulation, or on rules about the interaction between trade, labour and the environment the more we will be able to shape global rules around those issues together.
Ladies and gentlemen,
This kind of agreement – one that addresses the full range of consumers' needs – is only available if we are all ready and willing to work together.
The Commission has a role to play in that.
We must be more open to genuine two-way discussion. And we must be more transparent about the negotiations themselves. For me, this is only natural. As a Swede, I have transparency in my genes. That's why I made a commitment on this at my hearing and why I am working now to put it into practice. But we will only deliver a TTIP that is good for consumers – not bad or ugly – if those outside the negotiating room also play their part. Parliament and Member States' input is essential. I am committed to work hand in hand with you. I ask that you also work in the same spirit with the Commission. We also need constructive input from the whole range of civil society groups: trade unions, business associations, environmental organisations and, of course, consumers. I've already started to talking to some of you already. I want to work with you to understand your specific ideas on how we can make this deal better for consumers and citizens. We won't be able to agree on everything. We all have different views and priorities. But a more cooperative negotiation will lead to a better outcome – for consumers and for everyone else, on both sides of the Atlantic.
Ladies and gentlemen,
Another great Italian artist once noted: if we want everything to remain the same, then everything must change. If we want to keep providing consumers with safe, high quality goods and services at fair prices and under fair conditions. If we want them to continue to have high standards of living, and protect their public services.
And if we want a stronger transatlantic partnership to defend our standards and values in the 21stcentury then standing still is not an option. The challenges facing Europe today are serious.
And TTIP is a serious response to those challenges.
Let's work together to achieve it.
Thank you for your attention. I look forward to our discussion.
SPEECH/14/1921

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